96. Lebensqualität 28.9.2017
Manchmal muss es einem so richtig Scheisse gehen, damit man den durchaus ebenfalls beschissenen Grundzustand gar nicht mehr so schlimm findet. Nachdem ich rund 10 Tage Schleim von oben wieder
nach unten gerasselt habe und versuchte den ganzen Tag zu husten was so anstrengend war, daß ich abends halb bewusstlos im Sessel hing, bin ich jetzt überglücklich daß es überstanden ist. Die
Beine versagen zwar beim Umsetzen immer häufiger. ..Aber hey...was solls!! Ich kann atmen. Und zwar besser als vorher. Tagsüber brauche ich die Maske wesentlich seltener als vorher.
Ich habe mich jetzt auch entschlossen mir die PEG (für eine Ernährung direkt durch den Bauch) legen zu lassen.
Und ich werde vom SAPV TEAM (mobiles Palliativ Team) betreut. Ich bin total begeistert. Die kommen 1 x pro Woche und sind 24 Stunden für den Notfall erreichbar.
Also, ich sitze zwar den ganzen Tag im Fernsehsessel aber da fühl ich mich wohl und es geht mir gut. Ich schaue eine Kochsendung nach der anderen und das macht mir sogar Appetit.
Gestern musste Matthias, Semmelknödel machen....manmanman...sein Gesicht hättet ihr sehen sollen. Nun habe ich in einem Kochbuch ein Rezept welches super einfach ist, sehr lecker schmeckt
und immer gelingt. Er war abends auch sehr stolz. Es war wirklich sehr gut mit Rahmpilzen ... wenn ich mich verabschieden muss kann der Kerl super kochen.
95. Rücken 25.9.2017
Heute probier ich mal meine Einträge mit dem Handy zu machen. Das geht zwar nicht schneller und ist dann vermutlich voller Rechtschreibfehler aber es ist weniger anstrengend als mit dem
Laptop.
So, gestern ist dann passiert, was passieren musste: ich verschleiße meinen Pfleger. Zu Deutsch...Ich bin ihm quasi in den Rücken geschossen. Blöd wenn man bedenkt, daß er mich zwischen 12
und 18 mal am Tag umsetzen muss und es ist jedes Mal ein Kraftakt da meine Beine erst in eine durchgedrückte Position gebracht werden müssen damit ich überhaupt stehen kann. Wir haben jetzt zwar
einen Patientenlifter – aber wir haben noch keinen wirklichen Plan, wie ich mit dem Lifter die Hose runter … und vor allem später wieder rauf kriegen soll. Und für den Toilettengang brauchen wir
ihn ja überwiegend.
Also mit dem Handy klappt es nicht, den Text in die App zu bekommen….doof!
94. Schleim 24.09.2017
Samstag vor einer Woche habe ich mal wieder die Notaufnahme besucht und die Leute beschäftigt. Es hat sich mittlerweile hartnäckiger Schleim gebildet, den man rasseln hört, den ich aber ums Verrecken nicht hoch bekomme. Nach einigem Hin und Her Notarzt zum Absaugen gerufen. Weia..war wohl ein Pathologe, stand hinter mir und stocherte unbeholfen in Mund und Nase rum...die Sanis haben schon wild die Augen verdreht. Nach über einer Stunde war klar...der kriegt nix raus. Ich soll ins Krankenhaus. Wollte ich aber nicht. Bis dahin war ich allerdings so erschöpft daß ich dann doch mit bin. In der Notaufnahme erst mal Lunge geröntgt (die blöde Kuh beim Röntgen hat mich dement eingestuft… Frechheit). Soweit alles gut nur eine riesige Magenblase voller mit Luft. Also Magensonde geschluckt (würg) und abgewartet. Wurde auch besser. Aber immer noch rasselte der Schleim rauf und runter. Ich wollte aber unbedingt wieder heim. Also Entlassung um 21.30. Mit Ach und Krach ins Auto gekommen. ..leider zuhause fast nicht raus. Konnte mich nicht mehr Richtung Rollstuhl drehen. Prompt fing Atemnot wieder an. Bis 5 Uhr morgens Wohnzimmer gedöst Matthias lag auf der Couch. Um 5 dann ins Bett zum Glück konnte ich die Maske tolerieren. Was ein Albtraum…. (diesen Text hatte ich bereits auf facebook, die meisten werden ihn kennen)
Eine Woche später ist es wesentlich besser aber halbe Tage rasselt es immer noch. Werde jetzt vom mobilen Palliativteam SAPV betreut. Eine große Erleichterung, die kommen wöchentlich und ich habe als erstes ein Morphin Pflaster bekommen.
Schreiben fällt mir sehr schwer daher meine seltenen Einträge und der knappere Schreibstil
93. Windeln 16.09.2017
Bis jetzt haben wir es immer geschafft, alle Hilfsmittel genau auf den Punkt im Haus zu haben. Aber langsam wird’s so schnell schlechter, dass wir mit Verordnung – Genehmigung – Auslieferung hinterherhinken. Noch bekommt mich Matthias umgesetzt aber beide Arme tun ihm schon weh von der Belastung und ich frage mich wie lange es der Rücken noch mitmacht. Das macht mir schon große Sorgen. Durch dieses ständige Husten im Moment und das damit verbundene Gefühl ständig zu ersticken, trinke ich mehr als sonst und muss natürlich häufiger auf Toilette. Gut, wenn man die 3 mal weniger nachts wieder abzieht….
Wenn wir länger unterwegs sind trage ich jetzt auch Windelslips. Aber ganz ehrlich…hat schon mal jemand versucht bewusst in die Hose zu pieseln? Ich hab’s noch nicht geschafft, Windel hin oder her. Mühsam haben unsere Eltern uns beigebracht, sauber zu werden und jetzt geht das alles retour. Aber stimmt schon, ich nähere mich dem Format eines Babys. Leider nicht so klein, leicht und süss….
Zumindest die Tabletten helfen. Bin zwar immer noch müde aber es wird etwas besser und die Dauerheulerei ist weg. Antriebslos bin ich trotzdem. Ich bewege mich zwischen Bett und Fernsehsessel. Ich freue mich über Besuch aber selber raus gehen ist mir zuwider. Es läuft auch immer häufiger der Fernseher, da muss ich nichts bei machen außer umschalten. Wobei… ein gutes hat es, da ich viel Kochsendungen gucke hol ich mir dabei wenigstens Appetit. Auch wenn ich zuuuu gerne mal wieder ein Schnitzel essen würde….trau ich mich aber nicht!
92. müde 14.09.2017
Ich kann wieder gut schlafen! Für Matthias und mich ein Geschenk des Himmels. Neulich habe ich 2 x 6 Stunden am Stück geschlafen. Da hat er mich geweckt um zu gucken ob ich noch lebe. Trotzdem sitze ich tagsüber hier und bin todmüde. Ständig fallen mir die Augen zu. Das nervt mich. Ich dachte, mit mehr Sauerstoff und besserem Schlaf werde ich wieder fitter. Aber das Gegenteil scheint der Fall. Neulich saß ich auf dem Bett, Matthias war damit beschäftigt meine Füße zu richten – da kippte ich erstmal nach hinten weg und dötzte mit dem Kopf an die Wand. Zum Glück haben Fertighäuser keine gemauerten Wände und so blieb mein Hörnchen dieses Mal relativ klein. Und Dienstag haben wir mich das erste Mal kaum ins Auto bekommen. Als ich endlich mit Ach und Krach drin saß kippte ich wieder in Schräglage und lag mit dem Kopf auf der Fahrerseite. Obwohl ich das Gefühl habe, dass die Tabletten wirken und ich viel weniger heule – da lief mir wieder Rotz und Wasser. Ich muss eh mal in den Beipackzettel gucken ob diese Müdigkeit an dem Citalopram liegen könnte. Ich meine….Heulen ist Scheisse aber die Heulerei einfach nur zu verpennen ist ja auch keine Lösung.
Gerade war unser Sanitätshaus da mit einem Patientenlifter, nur um ihn mal zu probieren. Funktioniert natürlich nicht. Keine eigene Körperspannung mehr. Heißt, der Lift bekommt mich nicht in den Stand, ich rutsche vorher eher aus dem Tuch…äußerst unangenehm das Gefühl. Jetzt brauchen wir halt einen in dem ich sitze…ähnlich wie der Badewannenlifter. Was ein Aufriss…..
Gestern hatte ich Sorge, ich hätte mich erkältet. Ein Albtraum. Husten, Halsschmerzen….wie soll ich das denn hin kriegen? Sofort mit Schüssler 3 und Ingwertee dagegen geschossen und nachts Morphintropfen genommen. Ist zwar noch nicht weg aber doch etwas besser heute.
Ja -und so leid es mir tut – Blog schreiben wird ziemlich mühsam. Ich mache weiter soweit es irgendwie geht aber irgendwann wird es nicht mehr gehen…..
91. lustlos 08.09.2017
Wer mich besser kennt, bemerkt gerade, dass es mir nicht gut geht. Nicht physisch und psychisch auch nicht. Die Psychologin und der Arzt haben mir eine Depression bescheinigt. Ich sitze fast jeden Morgen heulend rum.
Und heulen ist doof, weil wenn Nase verstopft geht Atmen wieder nicht. Gegen Abend wird es etwas besser, dafür lassen meine Kräfte derart nach, dass ich nach jeder noch so kleinen Bewegung nach Luft japse. Gegen die schlechte Stimmung bekomme ich jetzt ein Antidepressivum aber es dauert ca. 2 – 3 Wochen bis es wirkt.
Ich muss es zugeben: diesen unerschütterlichen Optimismus, diesem Leben noch etwas abzutrotzen, kann ich immer seltener aufrecht erhalten. ALS verändert gerade meine Grundstruktur. Ich fühle mich wie der Bruder von Monk aus der US Fernsehserie: ich habe Angst das Haus zu verlassen.
Und dann ist gestern Nacht Michelle gestorben. Michelle war die Chefin unserer „InsGrasBeisserBande“. Sie war allerhöchstens Anfang 40 und hinter Marion meine zweite vertraute ALS Freundin. Ich wusste, dass es ihr schlecht geht. Sie ist vor 4 Wochen ins Hospiz gezogen. Aber die unabänderliche Tatsache, dass ein Mensch plötzlich einfach nicht mehr da ist, ist einfach traurig. Komischerweise habe ich das bei meiner Mutter gar nicht so empfunden. Aber die ist die letzten Jahre auch verbal mehrfach die Woche gestorben, während Michelle so unglaublich tapfer diese Scheiss Krankheit ertragen hat.
Ja, und so sitze ich hier in meinem Sessel und ärgere mich, dass ich die Geburtstagseinladung einer Freundin abgesagt habe aber hingehen geht leider im Moment nicht. Ich fange morgens schon an zu hyperventilieren sobald wir einen Termin haben. Heute hatten wir nichts und ich halte es schon seit 7 Stunden ohne Maske aus. Das ist zwar doof aber um es mit den Worten meiner Mutter auszudrücken: Ich muss einfach an mich denken! (Gott was hab ich diesen Satz gehasst)
90. Luft und mehr 03.09.2017
Wenn ich könnte, würde ich gerade aus der Hose hüpfen! Schmiert mir doch gerade Word ab und mein Text war noch nicht gespeichert! Ja HimmelArschundWolkenbruch! Das ist eine Verschwörung gegen mich! Ich bin sowieso momentan total angefressen! Jetzt bekomme ich endlich endlich wieder so Luft, dass es sich „normal“ anfühlt zu atmen (gut..mit Maske auf der Nase aber wer jemals über Wochen permanent Atemnot hatte ist da nicht so pienzig).
Da kommt mein Scheiss-Hirn doch sofort auf die Idee, sich eine neue Baustelle zu suchen. Ich habe in meiner ALS Gruppe gelesen, dass sich jemand an einem Stück Wurst verschluckte und vor seinen Kindern fast erstickt wäre. Ja… und was mache ich? Ich warte förmlich darauf an einem Stück Essen zu ersticken. Herrgott, wie doof muss man sein. Ich bräuchte dringend meinen Therapeuten aus Siegsdorf. Aber ich kann dort nicht mehr hinfahren. Ist mir alles zu viel. Er würde mir dabei helfen diesem Stresshirn in mir, welches nur darauf wartet tot umzufallen, Beine zu machen. Dabei sind meine Werte die in Rummelsberg gemessen wurden noch nicht wirklich exitusrelevant. Ich fühl mich manchmal nur so… aber man stirbt ja auch schließlich nicht so häufig um da irgendwelche Erfahrungswerte anzuhäufen.
Ja und da ich in den Zeiten mit Maske auf dem Gesicht nicht viel mehr tun kann als Fernseh zu gucken oder nachzudenken, denke ich halt viel darüber nach ob ich alles soweit erledigt habe wenns mich erwischt. Und was ich in meinem Leben gut und was nicht gut gemacht habe.
Ohne Überheblich klingen zu wollen, ich finde ich habe vieles richtig gemacht. Es gibt Dinge für die es keinen Leitfaden für richtig oder falsch gibt. Kindererziehung zum Beispiel. Egal wie man es macht, es ist immer ein Teil richtig und ein Teil falsch. Das ist einfach nicht zu ändern. Aber ich hoffe, ich /wir konnten unseren Kindern die Grundlagen einer guten, liebvollen Ehe vermitteln. Und dass man Probleme zusammen durchsteht, den Partner immer respektiert und repariert statt zu aufzugeben. Manchmal muss jeder ein Stück zurückstecken und dann wird schon immer wieder alles gut. Und ich hoffe, ich habe meinen Töchtern Rechtschaffenheit beibringen können. Wer lügt verliert Vertrauen… manchmal für immer. Man redet nicht schlecht hinter dem Rücken anderer… außer man hat den Mut es demjenigen auch ins Gesicht zu sagen (für mich noch nie ein Problem gewesen) und man achtet das Eigentum anderer. Man bescheisst nicht…. Nicht im Leben, nicht im Sport. Bei mancher Runde Golf habe ich Bauklötze gestaunt wie phantasievoll mancher Spieler versuchte sich einen Vorteil zu ergaunern. Mein Respekt war danach meistens ziemlich futsch.
Und man sollte bei allem was man tut immer versuchen sein Bestes zu geben. Das reicht oft nicht…aber man hat es versucht!
89. Beatmungsmaske 2 30.08.2017
Trotz Maske fällt mir alles immer schwerer und ich gerate momentan beim Schreiben dieses Blogs zunehmend in Atemnot. Ich kann die Maske dabei aber nicht aufsetzen – da hält leider die Brille nicht. Ich weiß also nicht, wie lange der Blog noch existiert – oder vielleicht werden die Einträge einfach nur immer kürzer.
Ich habe es jetzt auch vorneweg genommen: kaum war ich zuhause und saß entspannt in meinem Sessel, gings auch mit der Maske. Ich bin jetzt total froh, keine Ahnung wie ich die letzten Wochen – fast Monate mit dieser Atemnot leben konnte. Jetzt schlaf ich mit Maske und wache morgens ziemlich gut erholt auf. Ich muss zwar 4 mal gewendet werden aber das geht jetzt alles schneller und stressfreier. Das einzig Unangenehme: meine Zunge klebt bei jedem Aufwachen wie festgetackert an der Backe oder am Mundboden. Ich habe zwar einen Befeuchter dazu bekommen, der sondert aber so viel Kondenswasser ab, dass es irgendwann im Schlauch anfängt lautstark zu gurgeln und beim Abnehmen der Maske habe ich auch gleich die Haare gewaschen.
Montag waren wir wieder in der DKD in Wiesbaden, die übernehmen die weitere Einstellung der Maske und jetzt werde ich dort auch die Ernährungssonde in Angriff nehmen. Mir geht der Hintern dabei schon wieder auf Grundeis. Wieder eine Nacht Krankenhaus, diesmal mit OP. Aber ich habe immer mehr Schiss vor dem Verschlucken und Essen macht mir im Grunde eh keinen Spaß mehr. Außerdem kann ich ja auch mit PEG noch normal Essen, wenn ich möchte. Hauptsache mein Bier und ein Glas Wein gehen noch rein…. Das klappt momentan noch am unkompliziertesten und meine Leberwerte sind ja eh im Keller. Cholesterin übrigens auch…und noch ein paar andere Dinge. Aber wenn juckts?
88. Beatmungsmaske 27.08.2017
Was für eine Albtraumwoche. Montags musste das Auto in die Werkstatt und kam abends kaputter zurück als abgegeben. Dann mussten wir dienstags schon um 6 aufstehen, weil ich Termin beim Pneumologen hatte und das Auto wieder in die Werkstatt musste. Danach hatte ich noch 2 mal Physio, Massage und Ergotherapie. Da das Auto nicht fertig werden würde musste auch noch ein Leihwagen her sonst wären wir Mittwoch ja nicht nach Rummelsberg gekommen. Das Ende von Dienstag: ich war völlig platt! Und Mittwoch gings wieder um 6 morgens hoch und ab nach Rummelsberg.
Die Klinik ist in Bezug auf Ärzte und Personal top! Von der Ausstattung der Zimmer jetzt eher nicht so. Wenn man in die Bettmatratzen Nägel hauen würde, würde es auch als indische Fakirschule durchgehen. Und das Bad ist für Rollstuhlfahrer eine Zumutung. Die Seife hängt zu hoch, am Waschbecken habe ich auch das Kinn ablegen können das Klopapier von der Toilette aus unerreichbar… einzig die Toilettenstuhlpfannenwaschanlage war der Burner. Die lief in der ersten Nacht dann auch 9 mal. Ich konnte nicht liegen, nicht schlafen und als die Schwester morgens fragte ob wir gut geschlafen hätten, fing ich hysterisch an zu heulen. Das hat zumindest mir ein besseres Bett mit einer etwas weicheren Matratze eingebracht. Ich war zwischenzeitlich aber schon derart gestresst dass ich weder essen konnte und auch sonst zu nichts anderem in der Lage als apathisch vor mich hin zu glotzen. Gegen 10 fing eine sehr nette junge Ärztin an, das Beatmungsgerät einzustellen. Und das war ganz schön schwierig. Sobald ich minimal Druck auf die Lunge bekam, blockierte meine Halsmuskulatur. Ich hätte eigentlich nur entspannen müssen…konnte ich aber nicht. Sie musste mit dem Druck immer weiter runter gehen…und irgendwann gings dann. Und ich bin sogar tatsächlich darüber eingeschlafen.
Nachmittags kam dann ein anderer Herr , klärte uns ausführlich darüber auf, welcher Druck ein MUSS ist und das da noch ein Volumen dazu kommt und bla bla bla….er stellte alles um und ich riss mir nach spätestens 5 Minuten immer wieder die Maske vom Gesicht. Problem war: Nachts wurde Co2 gemessen…und zwar mit Maske. Ich hab also alle 10 min. einen neuen Gewöhnungsversuch gestartet. Aber es brachte einfach nichts. Die Messung wurde dann ohne Maske gemacht und trotz neuem Bett war die Nacht nicht viel besser als die vorherige. Die Co2 Werte waren erwartungsgemäß nicht gut aber auch noch nicht bedrohlich …aber es sollte ja gemessen werden, was mit Maske raus kommt. Für uns war allerdings klar: Keine weitere Nacht!
Das hat dem Chefarzt jetzt gar nicht gefallen. Ich sollte noch mindestens 3 bis 4 Tage bleiben…..nicht mit mir.
Da mir das Schreiben heute besonders schwer fällt, mach ich nochmal Pause …der Rest kommt, sobald ich wieder fitter bin
87. Schlafen 20.08.2017
Ich gebe es zu! Ich bin manchmal doof! Nicht dass man das unbedingt immer sofort merkt – aber ich habe mich immer für ziemlich konsequent gehalten und manchmal denke ich: Eva! Manchmal blubberst Du auch nur lauwarme Luft. Da referiere ich stundenlang in diesem Blog über den Tod und wieviel Lebenszeit und -qualität mir noch bleibt und dabei muss ich aufpassen, dass ich nicht selbst vor Rührung in Tränen ausbreche. Und dann jammer ich über Atemprobleme (die ich zweifelsohne habe und die auch echt die allerletzte Scheisse sind). Und dann stehe ich vor den Morphin-Tropfen und schaue sie ehrfürchtig an weil ich nicht traue, sie zu nehmen. WARUM zum Henker denn nicht? WAS sollen die denn mit mir machen? Gut – das habe ich ja jetzt kapiert und nachts werden 5 Tropfen eingeworfen und das ist auch ganz gut so.
Die nächste Herausforderung waren jetzt meine Schlaftabletten. Ich nehme sowas normalerweise nicht, zumal meine Mutter ziemlich abhängig davon war und die Dinger immer verniedlichend als Einschlafhilfe bezeichnet hatte – dabei besitzt Zopiclon ein hohes psychisches und körperliches Suchtpotenzial, ähnlich wie Benzodiazepine. Aus diesem Grund sollte es nicht länger als mehrere Tage verordnet werden. Außerdem steht im Beipackzettel irgendwas von besser nicht nehmen, wenn Probleme mit der Lunge bestehen. Also… was mache ich? Ich nehme sie nicht!!! Ja wie bescheuert ist DAS denn? Suchtpotential….Hahahaha!!! Und wovor hab ich Angst? Nachts aufzuhören zu Atmen? Passiert über früher oder lang doch eh – warum mach ich jetzt ein Geschiss draus?
Vorgestern hatte ich von „Schlecht schlafen“ die Schnauze voll und hab eine viertel Tablette genommen. War wohl ein bisschen wenig und hat nix gebracht – darauf hab ich mir gestern die andere ¾ eingeworfen.
JA und HALLLOOOO!!! Ich musste immer noch 4 x raus oder gedreht werden aber ich konnte immer 2 Stunden am Stück Schlafen und sowohl meine bessere Hälfte als auch ich waren einfach glücklich heute Morgen.
Gestern hatten wir noch Lieblingsbesuch von Iris und Frank und das war ein ganz besonders schöner Abend. Früher haben wir die Abende durchgequatscht, das wird immer schwieriger aber Fernsehschauen wollten wir auch nicht also haben wir das gemacht, was früher Dia-Abende waren. Wir haben uns erst den Jakobsweg von Frank angeschaut (verdammte Hacke – DAS hätte ich auch gerne gemacht) und dann alle unsere wunderschönen Reisen, die Matthias auf DVDs mit Musik hinterlegt hatte. Und da Iris und Frank genau so gerne Reisen wie wir, war das echt ein toller Abend vor allem tolle Erinnerungen für mich an eine gesunde Zeit.
Und es geht mir noch aus einem weiteren Grund besser. Wir haben einen Termin in Rummelsberg zum Anpassen der Maskenbeatmung. Allein zu wissen, dass es da jetzt weiter geht beruhigt mich schon UND die Tatsache, dass Matthias ein Roomingin bekommt. Diesmal keine Schnarch Lady und ich weiß auch wie ich nachts aufs Klo komme.
Wird doch!!!!
Ach und zu dem Thema Weihnachten noch da sein und so… da habe ich von Matthias eine klare Ansage bekommen! Der Treppenlift war viel zu teuer – der muss noch abgelebt werden! Vorher hätte ich keine Chance mich zu verabschieden. Manchmal denke ich – meine Güte, was nimmt er alles auf sich! Es wird ja nichts besser und er muss immer mehr ran. Umso mehr rührt es mich, dass er mich trotzdem noch so lange es geht behalten will.
Könnte allerdings auch daran liegen, dass er immer frecher wird und ich außer beider Mittelfinger nicht mehr viel entgegenzusetzen habe! Gut – das darf er nach 32 Ehejahren jetzt auch genießen. Bleib ich halt noch ne Weile!
86. ALS Functional Rating Scale 18.08.2017
Es gibt bei ALS eine Tabelle, die sich ALSFRS nennt. Diese Tabelle soll ungefähr die Geschwindigkeit messen, mit welcher die Krankheit fortschreitet. Es gibt 2 verschiedene Varianten. Die eine berücksichtig die Atemfunktion stärker und besteht aus 12 Fragestellungen mit je 4 Antwortmöglichkeiten, die andere lässt das Atmen relativ unberücksichtigt und besteht aus 10 Fragekomplexen. Man kann maximal 40 (48) Punkte erreichen und Ende der Fahnenstange ist 0.
Mit der ALSFRS lässt sich eine valide Prognose stellen: Wissenschaftler stellten fest, dass Patienten, die auf der ALSFRS einen Wert von über 30 haben, die nächsten neun Monate mit einer Chance von 90 % überleben.
Ja, toll! Ich glaube ich hatte im März schon nur noch 29. Nun kann man den Test natürlich auch selber im Internet machen und nachdem mir Marion gestern völlig deprimiert ihren neuen Wert durchgegeben hat, dachte ich – schauste halt auch mal!
Was soll ich sagen: SCHEISSE!!!! Ich bin tot!!! Ich habe nur vergessen umzufallen. Ich habe einen Wert von 15!!! OHMEINGOTT!!! Ich bin ein Zombie – ich hätte fast eine wandelnde Leiche geschrieben – aber wandeln kann ich nicht mehr! Ich bin eine von Matthias gehobende schlurfende , über den Boden rutschende Leiche!
Natürlich habe ich den Test gleich nochmal gemacht und dabei genau nachgedacht, ob ich gewisse Dinge denn vielleicht nicht doch noch besser kann als ich sie empfinde. Manche Dinge sind mir auch einfach nur zu anstrengend. Minutenlange Atemnot, nur um die Bettdecke hochzuziehen? Nö, dann lass ich das doch lieber Matthias machen.
Also, beim 2. mal überlegen…geht’s tatsächlich gar nicht mehr – wie z. B. Treppen steigen - oder quäle ich mich nur einfach nicht genug? Ich konnte eine kleine Verbesserung auf 17 Punkte verbuchen und als nun auch Matthias den Test machte, weil ihm das auch alles viel zu wenig war, kam er auf großzügige 20 Punkte. Wenn wir das noch 100 mal machen, bin ich vielleicht wieder gesund?
Trotzdem – diese Zahl überrascht mich nicht. So, wie es mir im Moment geht hege ich große Zweifel, das nächste Weihnachtsfest noch mitzuerleben. Wobei – man weiß es nicht. Ich lege große Hoffnung in die hoffentlich bald stattfindende nächtliche Beatmung. Durch den permanenten Schlafentzug und das ständige Gefühl keine Luft zu bekommen, bin ich im Moment schon extrem schlecht drauf und betrachte die Alternative eines schnellen Ablebens nicht mehr ganz so negativ.
Aber auch da erwischt es oft die falschen, wie uns das traurige Beispiel Barcelona wieder zeigt.
85. Achterbahn 16.08.2017
Auf nichts kann ich mich im Moment verlassen. Eine Nacht schlafe ich gut, tagsüber ist alles soweit OK. Nächste Nacht hechel ich panikgeschüttelt alle 60 Minuten am Bettenrand rum. Montag ging es mir den ganzen Tag schlecht. Abends sind wir aber trotzdem nochmal in den Grüneburgpark und ich habe beim „Grafen von Montechristo“ 2 Stunden so herzlich gelacht, dass es mir danach und auch während der Nacht gut ging. Letzte Nacht lag ich die halbe Nacht wieder wach und redete mir wie ein Mantra ein, dass alles gut ist, ich gut liege, ich gut atmen kann….um Sekunden später Matthias anzukrächzen er solle mich bitte SOFORT aufrichten. Der arme Kerl kam aus dem Tiefschlaf und wusste überhaupt nicht wie ihm geschieht.
Letzte Nacht haben wir das Schlafzimmer schon umgebaut, denn heute kam mein Pflegebett. Und da ich noch nicht alleine schlafen möchte haben wir jetzt ein 2 x 2 Meter großes Boxspringbett und ein 1 x 2 Meter großes Pflegebett im Schlafzimmer stehen. Mehr geht jetzt aber auch nicht mehr rein. Zumindest die Matraze meines neuen Bettes schien bei einem kurzen Probeliegen sehr bequem. Na ja – nächste Nacht wäre wieder eine gute Nacht dran – ich bin mal gespannt.
Meine Physiotherapeutin wird morgen auch ihren Spaß mit mir haben – auf dem Rücken liegen geht nämlich GAR NICHT MEHR. Keine Sekunde! Von Null auf Hundert in weniger als einer Sekunde. Gott bin ich froh, wenn ich die Atemgeschichte endlich angreifen kann. Noch 6 Nächte bis zum Arztkontakt!
Es geht im Moment aber auch alles rasend schnell. Ich habe das Gefühl, jeden Morgen knipst mir irgendjemand einen Muskel oder eine Fähigkeit aus. Meine kleine Enkelin sagte gestern: Oma, Du kannst aber nicht mehr gut reden! Stimmt! Da hat sie Recht.
Aber ich kann zum Beispiel immer noch relativ gut Essen. Ich brauche ausreichend Flüssigkeit um es runterzuspülen aber ich kann morgens noch Brot essen. Und neulich ging sogar Manus Nusskuchen (allerdings mit Sahne) relativ geschmeidig runter.
Was aber echt schwierig wird ist die Haltung beim Essen. Ich kann kaum Suppe essen, da ich mich dazu nach vorne beugen muss. Hier droht aber mein Oberkörper nach vorne zu plumpsen und ich laufe Gefahr mit dem Gesicht im Suppenteller zu ertrinken. Da ich mir das ähnlich wie Ersticken vorstelle, kommt diese Todesart für mich schon mal nicht infrage! Cool fände ich bei Gewitter mit dem Rollstuhl auf den Golfplatz und ein Eisen 1 in die Hand gen Himmel! Ich hab allerdings kein Eisen 1 – sehr schwer zu treffen und ich bin mir auch nicht sicher ob ein Blitz das Eisen besser trifft!
Aber cool wäre das! ALS – Patientin auf Golfplatz vom Blitz erschlagen! Wer will schon an einer blöden Krankheit sterben? Finde ich in den Traueranzeigen auch immer doof wenn da steht: wurde nach langer, schwerer Krankheit erlöst!
Ich hätte da gerne stehen: Brach sich beim Bungee-Sprung das Genick, wurde von Löwe gefressen, wurde beim Versuch Donald Trump zu beleidigen erschossen…..und nicht- bekam eine Lungenentzündung, hatte eine CO2 Vergiftung oder noch banaler – keinen Bock mehr.
84. Sonnenstrahlen 13.08.2017
Nachdem mein Himmel gestern noch ganz dunkel und trüb erschien und ich spät abends auf dem Klo beim Abputzen fast vom Stuhl gefallen bin und danach hysterisch heulend im Bad saß, weil ich dachte, jetzt ist es soweit – jetzt muss mir Matthias auch noch den Hintern abwischen. Und ganz ehrlich – auch nach 32 Ehejahren … DAS WILL KEINE FRAU!!!! Ich sehe eh schon aus wie eine Kraterlandschaft. Überall fehlen die Muskeln und ich habe Dellen in den Beinen und Armen, die Haut hängt hübsch faltig darüber – also attraktiv ist anders. Jetzt pienz ich deshalb nicht groß rum, man ist mit 57 eh nicht mehr auf der Höhe seiner körperlichen Attraktivität – aber Hintern abwischen??? Bäh! Du denkst immer – schlimmer geht’s nicht mehr…. Aber es geht!
So, nun haben wir aber trotz 4 maliger Unterbrechung heute Nacht (und es ging gar nicht gut los – im Stundenrhytmus musste ich raus) trotzdem 9 Stunden ganz gut geschlafen. Ich hatte heute früh ein schönes Bad im Whirlpool und wir haben mit dem Lifter einen Trick gefunden, wie mich Matthias hygienisch waschen kann ohne, dass es eklig ist, ich danach aber trotzdem blitzsauber bin. Und da ich besser geschlafen habe, bin ich auch etwas kräftiger was ein wirklich gutes Gefühl ist.
Ich fasse zusammen: 9 Stunden Schlaf, ein reinigendes Bad und frisch gewaschene Haare, ein Rührei mit Speck und Ketchup, ein Stück Cambozola Käse, Freunde die für mich Bügeln und Kochen, Freunde die mit uns schöne Dinge unternehmen, die uns ihr Auto anbieten weil unseres gerade eine Macke hat, eine Nachbarin, die zukünftig Matthias ab und an entlastet und ein paar Stunden Verhinderungspflege übernimmt (Danke Danke Isabell), eine Schwester, die den nächsten Flug zu mir quasi schon gebucht hat, Freunde, die nächstes Wochenende hier sind und viel Galgenhumor mitbringen, ein Chat mit meiner ALS Freundin Marion in Berlin an dessen Anfang wir immer ziemlich down sind und an dessen Ende wir uns IMMER kaputt lachen… und viele viele kleine andere Dinge .. sind meine Sonnen geworden. Man wird sehr bescheiden aber vor allem wird man auch dankbar. Bei aller Wut, allem Frust und allem Unverständnis für diese Krankheit. Ohne ALS hätte ich auch so viele Dinge in meinem Leben gar nicht gesehen oder begriffen. Wie eng die Liebe zwischen 2 Menschen auch noch nach 32 Ehejahren noch werden kann – gerade in schlechten Zeiten. Wie unglaublich hilfsbereit Menschen sind und dass sich Freunde eben nicht vom Acker machen, wenn es schwierig wird. Und - wenn man es denn gelernt hat, die Hilfe auch anzunehmen, zu erkennen dass es eine unglaubliche Sicherheit bietet. Man fühlt sich nie allein.
Ja, heute scheint meine Sonne wieder – und ich glaube daran ist jetzt überwiegend das Rührei mit dem Ketchup schuld 😉
83. Frust 12.08.2017
Was zum Teufel soll denn schiefgehen, wenn man sich an der Nordsee in Deutschland ein bestens ausgestattetes behindertengerechtes Appartement nimmt? Mit allen Hilfsmitteln. Super großes Bad mir höhenverstellbaren und nach rechts und links verschiebbaren Duschstuhl. Toilettensitz vorhanden. Pflegebettrahmen, höhenverstellbar – vorhanden. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass es auch nur das klitzekleinste Problem geben könnte. Auch das Wetter war besser als zuhause und so reisten wir sonntags frohen Mutes an. Gut, meine Atmung ist die ganze Zeit schon grenzwertig unangenehm. War es zum Teil bei der Reise ans Nordkap schon – aber ich habe es bisher immer noch in den Griff bekommen. Dass ich jetzt auf dem Sessel in der Wohnung nicht richtig atmen konnte, weil ich nicht aufrecht genug sitzen konnte…. Dafür konnte die Couch ja nix. Und auch, dass ich im Bett wie auf einem Brett lag - es war viel zu hart und da ich mich ja nicht lange in eine bequeme Position wackeln kann fall ich um und muss so liegen bleiben, wie es mich hingeschmissen hat – machte die Sache nicht leichter. Zumindest für das Bett bekamen wir am nächsten Tag dann aber einen Topper und damit konnte ich auf der linken Seite liegen. Hat schon mal jemand versucht, eine ganze Nacht auf einer Seite zu liegen? Alle 1 – 2 Stunden musste Matthias mich aus dem Bett manövrieren, damit ich wieder Gefühl in die Seite bekam. Nun ist Aufstehen anstrengend. Eigentlich ist alles anstrengend geworden. Zähne putzen, Socken ausziehen (anziehen geht gar nicht mehr) sich den Hintern aufm Klo abwischen…. Ich keuche danach jedes Mal wie eine Dampflok und brauche mehrere Minuten um wieder auf normal Null zu kommen. Ja…und von Sitzen auf Liegen ist auch Horror. Wenn ich nicht auf Anhieb die richtige Position erwische muss mich Matthias mehrere Male wieder hochziehen und ich weiß nie ob es beim nächsten Umfallen besser passt. Das produziert eine gewisse Panik die am Ende oft mit der Einnahme der Morphin-Tropfen endet. Und so kann es passieren, dass wir mehrmals pro Nacht bis zu 45 Minuten rumhampeln bis ich wieder liege und sage es geht. Entsprechend drauf sind wir am nächsten Morgen.
Mein wunderbarer, geduldiger, liebevoller Mann geht langsam an seine Grenzen. Das alles ist für Ihn (mich natürlich auch) purer Stress, denn er steht neben mir, sieht mich röcheln und kann absolut nichts für mich tun. Diese Hilflosigkeit springt mich förmlich an und ich bekomme das dringende Bedürfnis mich dafür zu entschuldigen, was ihn dann erst richtig nervt.
Nun, Fazit ist: Um den Stress nachts rauszunehmen muss – zumindest nachts – vermutlich eine Beatmung her. Ich habe ja schon einen Termin beim Pneumologen – aber in Anbetracht unserer bevorstehenden Island Reise habe ich dann doch die Klinik in Rummelsberg angeschrieben in der Hoffnung auf einen früheren Termin.
Um es vorne weg zu nehmen: Heute haben wir Island storniert. Matthias leidet zunehmend gesundheitlich unter der Situation und ich schiebe die nächste Panik vor mir her – man muss einfach erkennen wann man verloren hat.
Aber zurück zur Nordsee. Montag hatten wir bestes Wetter und so unternahmen Matthias und ich einen wunderschönen Spaziergang entlang der Harle von Harlesiel nach Carolinensiel und zurück. Unterwegs haben wir noch leckeren geräucherten Fisch eingekauft und wir freuten uns auf diesen, mit einem herzhaften Bier später am Abend. Ich fuhr also frohen Mutes mit meinem neu erworbenen E-fix-Rollstuhl und ließ den gutmütigen Spott von Matthias über mich ergehen, wenn ich ängstlich vor einer Bürgersteigerhöhung stand und ihn bat, mir doch bitte drüber zu helfen. Ich traue dem Ding halt keine Geländegängigkeit zu und bin da ein bekennender Hasenfuß geworden.
200 m vor dem Parkplatz hab ich dann aber meinen Mut zusammengenommen und dachte: den kleinen Höcker schaff ich jetzt allein. Naja… was soll ich sagen, der Rolli kippte nach hinten weg, was eigentlich nicht schlimm gewesen wäre, denn dafür hat er Stützen und kann nicht umkippen. Ich bekam allerdings Panik und hielt mich am Joystick fest – womit dieser nach vorne gedrückt wurde und ich mit einem Satz in eine Hecke schoss. Matthias schrie nur: lass los! Was ich tat. Damit stoppte der Rolli abrupt und schleuderte mich nach vorne. Da er jetzt schräg in der Hecke hing, kippte ich mitsamt allem um, Kopf dötzte auf den Gehsteig (ich kann die Nackenmuskulatur nicht mehr halten) und mein Fuß (jaaa… der mit den Schrauben und Nägeln) machte eine hässliche Drehung.
Zum Glück kamen mehrere Personen zu Hilfe. 2 Männer hoben mich also hoch und ein Dritter schob mir den Rolli unter den Hintern. Ey….ich war so geshockt, ich konnte nicht mal heulen. Mein einziger Gedanke war: Bitte nicht wieder den Fuß gebrochen -bitte nicht!
Wir also nach Wittmund in die Notaufnahme des Krankenhauses. Nach 3 Stunden hatten wir die Gewissheit: Man muss auch EINMAL Glück haben. Eine böse Prellung – aber nichts gebrochen. Aber Umsetzen wurde noch schwerer weil ich auf links gar nicht mehr stehen konnte.
Zu unserem großen Glück war die Prellung nicht annähernd so schlimm wie befürchtet und schon nach knapp 2 Tagen konnte ich wieder auftreten.
Ich bin allerdings der Meinung, dass dieser Stress mich wieder unnötig im Verlauf nach vorne katapultiert hat was sich auch in den jetzt regelmäßig auftretenden nächtlichen Panikattacken widerspiegelt.
Wir hatten trotzdem noch 2 schöne Tage in Neuharlingersiel am Strand und sich mit Matthias eine Portion Pommes zu teilen und ein Schöfferhofer Grapefruit dazu sind die kleinen Glücksmomente, die ich trotz allem immer noch genießen kann.
Und an dieser Stelle hätte ich eine große Bitte an alle meine wunderbaren Freunde und Bekannten, die mich immer wieder versuchen aufzurichten: Bitte lasst es! Ich kann nur noch hinfallen! Ich kann nicht mehr aufstehen und weitergehen! Und ich richte auch meine Krone nicht mehr – ich schmeisse sie höchstens wutentbrannt meinem Schicksal hinterher! Ich kann diesen Kampf nicht gewinnen. Es gibt nichts was ich tun kann um dem zu entgehen. Ich kämpfe um stille Momente des Glücks. Momente mit Matthias, meiner Schwester, meiner Tochter, meinen Enkelkindern, meinen Freunden. Die Momente des Frustes werden immer mehr aber noch bin ich in der Lage immer wieder die Sonne zu sehn. Darum kämpfe ich! Der Punkt an welchem die Krankheit noch ein akzeptabler Zustand war, mit dem ich mich arrangieren hätte können, ist längst überschritten. Mein Leben hat erste Anzeichen eines Horrorfilms. Vielleicht bin ich undankbar, vielleicht weiß ich nicht zu schätzen, was ich alles noch kann und habe… Aber es ist mir scheißegal was andere darüber denken! Ich war mein Leben lang Optimist, aktiv, fast immer gut drauf! Und ich habe immer gesagt: Am Ende bekommt jeder was er verdient. Seither überlege ich, welche Todsünde ich begangen habe um am Ende so leben zu müssen. Ich war bestimmt kein Engel, hatte manchmal eine spitze Zunge, ein schnell überkochendes Temperament und es gab auch sehr egoistische Entscheidungen in meinem Leben – aber ich war immer ehrlich (fast immer) und ich habe so gelebt, dass ich mich jeden Morgen im Spiegel betrachten konnte. Wofür also zur Hölle werde ich so bestraft?
Ich habe keine Ahnung!
Island ist jedenfalls gestorben – ich bin so traurig und gleichzeitig so erleichtert!
Und jetzt geh ich die Sonne suchen – und Matthias muss die Krone finden. Weiß der Henker wo ich die wieder hingeschmissen habe!!!
82. Morphin-Tropfen 05.08.2017
Wie ich schon erwähnt habe, ist das Umdrehen nachts ein ziemlicher Kraftakt. Ich liege danach völlig erschöpft in meinem Bett und habe erst mal mindestens 5 Minuten extreme Atemprobleme. Also was mache ich? Richtig, ich bleibe so lange wie möglich auf einer Seite liegen. Das geht im besten Fall 2,5 Stunden gut – manchmal halte ich es bereits nach einer Stunde nicht mehr aus. Und dann reicht es oft nicht mehr sich einfach umzudrehen, dann muss ich mal kurz auf die Beine gehoben werden und bei der Gelegenheit fährt mich Matthias auch immer gleich zur Toilette. Was weg ist, ist weg. Das ist nachts lästig! Nicht nur für mich – auch für Matthias. Manchmal ist er kaum wieder eingeschlafen, da stups ich ihn schon wieder an. Und dann kann es vorkommen, dass er schlaftrunken ein bisschen rumstöhnt. Woraufhin ich natürlich am liebsten sofort tot umfallen möchte – da das aber bisher nicht geklappt hat, fang ich dann an zu heulen. Drama Baby! Wir haben uns jetzt versprochen, dass Matthias vorsichtiger ist bei seinen Äußerungen und ich nicht mehr so empfindlich jedes Wort auf die Waagschale lege. Momentan klappt es recht gut (seit 1,5 Tagen).
Aber für, bzw. gegen diese Lagerungsschmerzen habe ich Morphin-Tropfen in einer leichten Konzentration bekommen, die ich 4 Wochen erst mal ehrfürchtig nur angeguckt habe. Letzte Woche Samstag waren die Schmerzen nachts aber derart unangenehm, dass ich mir ein Herz gefasst habe und 5 Tropfen genommen habe. Hat super geklappt, gut vertragen und auch gut weitergeschlafen. Nun hatte ich auf dem Beipackzettel schon gelesen, dass der häufigere Gebrauch Verstopfung verursachen kann. Da bei mir aber eher immer das Gegenteil der Fall ist und ich sie ja nur ein Mal (und 2 Tage später noch ein zweites Mal) genommen habe, dachte ich: Passt schon!
Im wahrsten Sinne einen Scheiß hat es gepasst! Es ging nix mehr. Ich saß stundenlang auf dem Klo und hatte fast geplatzte Hirnadern… gut, man muss dazu sagen, meine Bauchmuskulatur ist auch nicht mehr das was sie mal war .. es war eine echte Quälerei.
Donnerstag hab ich dann in der facebook-ALS-Gruppe mal gefragt, was die für ein Abführmittel empfehlen und die Sprechstundenhilfe meines Hausarztes wusste auch sofort - zu Morphin IMMER dieses Abführmittel verschreiben.
Nun hatte ich aber schon so lange gewartet, dass es mit einer einmaligen Gabe nicht getan war. Und so mussten auch noch 2 (in Worten ZWEI!!!) Einläufe her, die mein armer Mann mir verabreichen musste um mich unter größten Mühen von diesem Problem zu erlösen.
ALS tut ja als Krankheit selber nicht unbedingt weh. Aber die Einschränkungen, die es verursacht machen Probleme, da denkt man anfangs gar nicht dran. Ganz zu Anfang dachte ich – ja gut, wenn ich mich nicht mehr bewegen kann, lieg ich halt rum und guck Fernsehen. Aber das war dann wohl doch viel zu einfach gedacht. Mein Schamgefühl ist praktisch nicht mehr existent, ich bin mehr und mehr hilflos wie ein Baby – nur leider nicht mehr so niedlich und diese Bewegungslosigkeit ist ein derartiger Horror, das habe ich mir so vorher gar nicht vorstellen können. Manchmal möchte ich schreien … aber auch das kann ich nicht mehr. Heulen geht – ist aber extrem doof, da die Nase verrotzt ich aber kaum Luft genug habe um sie zu putzen.
So! Jetzt hab ich aber genug gejammert. Bei meiner Mutter ist mir das Jammern fürchterlich auf die Nerven gegangen. Deshalb beschränke ich es auch überwiegend auf den Blog – wer es nicht lesen will kann es ja lassen.
Und morgen fahren wir wieder mal weg. 1 Woche Nordsee – Ostfriesland. Ich bin froh, dass die Luft da oben frischer ist – die Wärme macht mir Atemnot. Und ich bin völlig entspannt, wir haben ein komplett behindertengerechtes Appartement sogar mit Pflegebett. Da kann nix schiefgehen!
81. Grüneburgpark 02.08.2017
2008 habe ich völlig unerwartet nach 17 Jahren Hausfrauen- und Muttertätigkeit tatsächlich einen Job ergattert. Ich war bereits 48 und suchte eine Teilzeitstelle – was in dem Alter ja fast schon an eine Unmöglichkeit grenzt. Aber man muss auch mal Glück haben. Gut, ich habe diese Stelle nicht wegen meiner sagenhaften Qualifikationen im Personalwesen bekommen – davon hatte ich nämlich null null null Ahnung. Ich bin mit einem ehemaligen Personalleiter verheiratet – das wars aber auch schon. Nein, diesen Job hatte ich der völlig chaotischen Arbeitsweise meiner damaligen Chefin zu verdanken. Möglicherweise liest sie das hier – aber da muss sie jetzt durch. Sie hatte nämlich die Bewerbungen so lange liegen lassen bis die guten Leute weg waren und ich war halt verfügbar. Anfangs hat mir der Job wirklich sehr viel Spaß gemacht – wenn ich nur etwas hätte lernen können. Personalarbeit ist ja nun wirklich ziemlich vielschichtig, da meine Chefin aber bevorzugt morgens erst um 11 eintrudelte, sofort Termine hatte (zu denen sie IMMER zu spät kam) und ich um 13 Uhr Feierabend hatte, blieb ich so doof wie an meinem ersten Tag. Das wurde erst besser als wir eine neue Direktorin und ich auch eine neue Chefin bekam. Leider war der Schaden an meinem Image in einigen Teilen der Firma nicht mehr zu reparieren zumal ich im Nachhinein noch feststellen musste, dass mir Fehler in die Schuhe geschoben wurden von deren Existenz ich gar nichts wusste.
Aber 2 wirklich gut Sachen sind daraus entstanden. Zum einen durfte ich die Einladung eines Personaldienstleisters annehmen und das war ein Besuch der Dramatischen Bühne im Grüneburgpark in Frankfurt – und nachdem ich gekündigt habe, habe ich meinen Traumjob von unserem Betriebsarzt angeboten bekommen, der für kurze Zeit dann auch mein Chef wurde.
Ja – und Grüneburgpark ist seither ein jährliches Highlight, ebenso wie die Festspiele in Bad Hersfeld. Der Vorteil ist dann noch, man muss vorher keine Karten kaufen. Man schaut wie das Wetter ist (da Freilufttheater) und fährt hin.
Überwiegend haben wir uns bei ganz klassischen Stücken kaputtgelacht. Aber es geht auch etwas ernsthafter wie in König Lear, gestern Abend, allerdings mit urkomischen komödiantischen Einlagen.
Ich bin wieder mal glücklich, dass ich mich auch davon noch verabschieden konnte. Möglicherweise schaffen wir es sogar nochmal hin – aber falls nicht, habe ich es zumindest noch ein letztes Mal geschafft. Das klingt jetzt zwar traurig – ich fände es aber viel trauriger wenn ich viele Dinge nicht mehr machen könnte. Abschied nehmen zu können ist irgendwie auch eine große Beruhigung. Es bleibt kein Bedauern zurück, es ist erledigt. Wenn mir das irgendwann auch mit den Menschen, die ich liebe gelingt, bin ich glücklich. Aber noch bin ich nicht so weit.
80. Badewannenlifter 30.07.2017
Nur 6 Monate nach der Verordnung habe ich meinen Badewannenlifter. Hallelujah…. Wir dachten schon das wird nix mehr. Diesmal ist aber weder die Krankenkasse noch sonst jemand irgendwie schuld. Die Tatsache, dass wir vor 11 Jahren ein Fertighaus gebaut haben rächt sich bei nachträglichen Anbauten. Die Aussenmauer ist halt nicht massiv was immer statisch berücksichtigt werden muss und der Rest besteht aus Holzbalken. Und die Balken muss man treffen, wenn man irgendwas Schweres dran dübeln will. Wir haben damals das ganze Erdgeschoss fotografiert, um später zu wissen wo die Balken langlaufen – aber auf die Idee, dass einer von uns einen Badewannenlifter brauchen würde, sind wir logischerweise nicht gekommen. Und dann haben wir die Badewanne, bzw. den Whirlpool auch noch unter die Dachschräge gebaut. Der Platz hat sich dafür geeignet weil nix anderes hingepasst hat. Jetzt hatten wir nicht nur ein Problem mit dem Festmachen, sondern auch mit der Höhe. Eine Firma nach der anderen winkte ab. Allein die Firma Handimove, die zuerst auch meinten es geht nicht, machte sich so lange Gedanken und suchte nach Lösungen, bis es funktionierte. Dafür an diese Firma meinen allerherzlichsten Dank!!
Und das Teil sieht auch gar nicht schlecht aus….. solange bis ich drin sitze. Ich bin echt froh, dass ich mir nicht selbst zuschauen muss wie ich in dem Tuch hänge.
Das System ist genial. Ich bekomme eine Schlaufe unter die Arme, die vor der Brust per Klettverschluss geschlossen wird. Jedes Bein kommt in eine extra Schlaufe und dann werde ich angehoben. Und was soll ich sagen …. Dreimal dürft ihr raten welcher Körperteil von mir sich wieder weigerte freiwillig über den Badenwannenrand zu flutschen. Richtiiiig! Das Teil auf dem ich sitze!!!! War aber egal, die Alternative war: Hängt sie höher!!! Überall eine Schlaufe höher und so gleite ich elegant (hüstel) in die Badewanne.
Haben wir gestern auch gleich ausprobiert. Funktioniert prima. Gut – elegant ist jetzt anders. Nasser Sack überm Schleifstein trifft es besser – ABER ich sitze in der Wanne, wenn ich will mache ich den Sprudel an und ich sitze nicht mehr total zusammengekrümmt in der Dusche und kriege regelmäßig das heulende Elend, weil es einfach MEGA Scheiße ist, wenn man den Oberkörper nicht mehr gerade halten kann. Das ist jetzt auch keine Frage der Optik. Die Wirbelsäule und alle Nackenmuskeln (zumindest die, die sich noch nicht verabschiedet haben) jaulen dabei schmerzhaft auf und protestieren auf das heftigste.
Ja… ich bin froh, den Lifter zu haben. Auch wenn es bedeutet, dass ich dem unausweichlichen Ende wieder ein Stück nähergekommen bin.
Und noch etwas habe ich gestern zum ersten Mal gemacht. Während der Nacht habe ich genau 2 Probleme, die mir fürchterlich auf den Keks gehen. Zum einen ist Umdrehen eine riesen Akt geworden. Wenn ich es ohne Matthias Hilfe mache (ich will ihn nun wirklich nicht öfter wecken als unbedingt notwendig) liege ich am Ende atemlos und völlig erschöpft auf der anderen Seite (immerhin kriege ich es mit viel Mühe noch allein hin). Und - ich schlucke tagsüber beim Trinken oder beim Speichel schlucken extrem viel Luft. Und die möchte mich vorzugsweise nachts ab 3 Uhr wieder verlassen. Ich möchte dieses unappetitliche Thema nicht weiter vertiefen – nur so viel: ich bevorzuge das sicherheitshalber auf der Toilette zu tun.
Beides bereitet mir im Laufe der Nacht Schmerzen. 2 bis 3 Stunden auf einer Seite zu liegen mag weder die Schulter noch der Rücken. Rückenlage geht aber nicht, weil ich in dieser Position nicht gut atmen kann. Also spätestens ab 6 Uhr morgens tut mir alles weh.
Nun ist mein Palliativmediziner der Meinung, dass das nicht wirklich nötig ist und hat mir schon vor unserer Nordkapreise Morphium-Tropfen mitgegeben. Ich habe mich jetzt lange gesträubt, diese auch zu nehmen. Morphium hat ebenfalls so einen Touch von Endstation. Und da sehe ich mich auch an meinen trübsten Tagen momentan noch nicht.
Allerdings habe ich die letzten Nächte so schlecht geschlafen – und wenn ich schlecht schlafe, ist auch der Tag nicht so prickelnd. Und so habe ich die Tropfen letzte Nacht dann doch mal probiert. Und was soll ich sagen – ich habe hervorragend bis morgens 9:30 Uhr geschlafen – dann ließ wohl die Wirkung nach und mein Rücken wollte unbedingt aufstehen. Aber hey….. ich bin ausgeschlafen und hatte keinerlei Schmerzen. Manchmal darf man halt einfach nicht so viel nachdenken sondern einfach machen. Wenn die Tropfen mein Leben angenehmer machen…. Danke und her damit!
79. Happy Birthday to me 27.07.2017
Gestern hatte ich Geburtstag. Es war der 57. und unter normalen Umständen hätte es mich davor gegraust so langsam auf die 60 zuzugehen. Komischerweise sehe ich auch das jetzt irgendwie anders. Letztes Jahr am 25.7. hat es mich das erste Mal der Länge nach hingeschmissen. Da ich mir dabei das Knie leicht verdreht hatte, war die geplante Golfrunde am Geburtstag selber, geplatzt. Ich konnte damals nicht aufhören zu heulen obwohl ich mir wirklich nicht besonders schlimm weh getan habe. Es war wohl die Vorahnung, dass da eine riesengroße Scheiße auf mich – oder besser uns – zukommt.
Und heute – ein Jahr später – hege ich keine große Hoffnung mehr noch 60 zu werden. Oder anders gesagt, die 60 könnte ich vielleicht erreichen, wenn keine Lungenentzündungen dazwischenkommen oder ich mich beatmen lassen möchte.
Wie ich im post davor schon geschrieben habe – will ich aber nicht. Nicht um jeden Preis. Also lassen wir uns mal überraschen was das neue Lebensjahr noch so bringt.
Gestern hat es mir schon mal eine meeeegggaa Überraschung gebracht. Ich habe ja eine völlig verrückte, durchgeknallte, liebenswerte, großartige Schwester der ich allerhand zutraue. Sie hat im Moment viel um die Ohren, da auch sie ein Charity Event zugunsten ALS plant und daher war klar, dass sie zu meinem Geburtstag nicht kommen kann. Aber das verrückte Huhn setzt sich doch morgens in Hamburg in den Flieger und steht mittags in unserem Wohnzimmer und fliegt abends wieder zurück. Was für ein Geschenk!
Abends saßen wir dann mit meinen Freundinnen beim Essen und ich bin jedes Mal wieder froh, am gesellschaftlichen Leben noch so gut es geht teilzunehmen. Mir ging es nämlich den ganzen Tag atemtechnisch und auch magentechnisch nicht so gut aber wenn ich keine Zeit habe, mich selbst zu bedauern geht’s immer wieder. Es ging sogar so gut, dass wir mit meiner Freundin Iris, die über Nacht blieb, noch eine Flasche Champagner trinken konnten. Also…. Nur damit ihr Bescheid wisst: So lange der Alkohol noch rein geht muss die Schweiz auf jeden Fall warten!!!
So… und morgen kommt dann endlich mein Badewannenlifter. Da bin ich ja auch mal gespannt. Aber ich bin froh, wenn ich nicht mehr wie eine Schildkröte unter der Dusche hocke und mich morgen schon das heulende Elend trifft, weil ich den Kopf nicht oben halten kann und überhaupt – weil alles saudoof ist.
Ich bekomme übrigens vermutlich einen schmäleren Rollstuhl, weil der jetzige mit dem Motor in den Rädern nicht wirklich auf den Plattformlift passt. Nun weiß jeder, der mich kennt, dass mein Hintern mir figurtechnisch mein Leben ruiniert hat. Er war einfach immer zu fett. Und egal wieviel ich abgenommen habe – der Hintern war in der Proportion IMMER zu dick. Und das ist der Mistkerl immer noch. Ich habe seit der Diagnose 10 kg abgenommen – aber dieses bockige Teil sitzt immer noch pritschebreit da und lacht mich quasi aus. Beine…dünner, Arme…dünner, Gesicht….dünner – Arsch…… same procedure as everyday, James! Egal!!! Das Teil wird jetzt in einen engeren Rollstuhl gepresst und wenn ihm das unbequem ist – SELBER SCHULD! Werd halt dünner!!!!
78. Gedanken 24.07.2017
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit habe ich einen Bericht über eine ALS Kranke gesehen, die den Tag ihres Todes selbst bestimmt hat und sich für den Freitod entschieden hat. Damals konnte ich das nicht verstehen und habe das als nicht besonders mutig abgekanzelt. Wenn ich etwas in den letzten Wochen und Monaten gelernt habe, dann dass sich wirklich NIEMAND ein Urteil darüber erlauben darf, wie es einem mit einer solchen Krankheit geht und welche Entscheidungen man trifft. Man denkt immer „Ich würde das sicher so machen….“ Bullshit! Kein Mensch kann wissen was er in dieser Situation macht – man war noch nie in seinem Leben vorher in einem solchen Zustand und daher kann man es vorher auch überhaupt nicht fühlen.
Es gibt Kranke, die um jeden Preis leben wollen – und es gibt andere, denen ist der Preis zu hoch. Und was jeder einzelne als lebenswert betrachtet ist schlichtweg eine ganz persönliche Betrachtungsweise.
Ich habe zwischenzeitlich meine Patientenverfügung wieder geändert. Im Moment möchte ich nicht intubiert beatmet werden. Im Moment denke ich darüber nach, ob ich überhaupt beatmet werden möchte und ob ich mir eine PEG legen lassen möchte für die Ernährung, wenn Schlucken nicht mehr geht.
Ich stöbere auch auf den Seiten von Dignitas – eine Freitodbegleitung in der Schweiz. Ich kann über dieses Thema nur schreiben sobald ich darüber sprechen soll, bleibt mir die Stimme weg und ich fange an zu Heulen.
Es ist nicht so, dass ich sterben möchte und momentan habe ich noch so viele schöne Momente, dass sich diese Krankheit durchaus noch aushalten lässt. Samstag waren wir mit Freunden in Bad Hersfeld zu den Festspielen und haben uns „Hexenjagd“ angesehen. Meine Güte – was für ein toller, eindrucksvoller Abend und was für ein beeindruckendes Stück, von Dieter Wedel toll inszeniert. Das sind Momente, da ist das Leben beschwerlich aber schön. Aber es wird nicht besser und ich habe mich von Bad Hersfeld verabschiedet da es nächstes Jahr sicher nicht mehr möglich sein wird. So wie ich mich Stück für Stück von allem in meinem Leben verabschiede.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wann ein guter Zeitpunkt zum Sterben ist – und ich habe keine Ahnung ob ich meine Meinung noch mehrere Male ändere – aber für die Schweiz müsste ich beispielsweise noch selber in der Lage sein, das Medikament eigenständig zu mir zu nehmen. Da darf ich dann nicht warten, bis ich meine Hände und Arme nicht mehr benutzen kann. Und das kann schnell gehen.
Und dann wäre da noch Matthias. Was mute ich ihm eigentlich zu! Klar – ich würde es andersrum genauso machen – aber ist wahre Liebe nicht auch, jemanden frei zu geben, der noch ein bisschen Leben vor sich hat. Sein Leben dreht sich doch nur noch um mich und meine Bedürfnisse – das ist doch nicht fair. Er ist finanziell abgesichert, könnte tolle Reisen machen, mit Freunden Golf spielen, vielleicht noch mal jemanden kennenlernen der seine Hobbies teilt?
Noch ist es nicht soweit – aber ich muss darüber nachdenken. Es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. ALS schaut auch nicht weg.
77. E-fix 21.07.2017
Seit Dienstag bin ich motorisiert. Ich habe allerdings keinen neuen Rollstuhl mit Motor, sondern mein bereits vorhandener wurde nachgerüstet. Das gefällt der Krankenkasse jetzt nicht so wahnsinnig gut, das Nachrüsten ist teurer als ein Standardmodel aus China aber im Haus könnte ich mich mit so einem Traktor gar nicht bewegen und – das interessiert die Kasse jetzt zwar nicht – man kann den Aktivrollstuhl mit Motor immer noch zusammenklappen und er passt ins Auto. Ich habe vorne einen Joystick und hinten ist die Begleitsteuerung. Aber wer jetzt denkt das Fahren wäre pipieinfach…. test and try. Die Vorderräder kommen nämlich nur minimalste Stufen rauf und wenn man ein Schlagloch übersieht bleibt der Rollstuhl im Schlagloch stecken und mich katapultiert es im hohen Bogen nach vorne. Wer jetzt behauptet, Fliegen sei doch schön……. Ach halt die Klappe!
Außerdem habe ich die Geschwindigkeitsregelung noch nicht so ganz im Griff. Wer sich also traut vor mir zu laufen, läuft Gefahr mit Schwung in die Hacken zu bekommen. Matthias hat schlauerweise das Mann/Frau-Rollenmodell schon umgekehrt und läuft 2 Schritte hinter mir.
Aber es ist eine große Erleichterung. Rollstuhlschieben ist nämlich sau anstrengend – erst recht, wenn es bergauf geht. Wir hätten sicher Tromso geschafft, wenn wir das Teil schon gehabt hätten. Allerdings wären wir dann nicht mehr durch die Gänge gekommen wenn die Reinigungswagen drin standen – also irgendwas ist ja immer.
Bevor wir aufs Schiff gegangen sind haben wir übrigens von allen Seiten den Thriller „Passagier 23“ von Sebastian Fitzek empfohlen bekommen. Nun bin ich ja absoluter Thriller Fan – aber liebe Leute. Nicht, dass ich Fitzek gar nicht mag aber das Buch ist der absolute Overkill. Das wird soooo unrealistisch dass ich es eher komisch als spannend empfand und es kann Thrillern von Andreas Gruber, Tess Gerritsen oder Karin Slaughter nicht das Wasser reichen. Jetzt weiß ich auch wieder warum ich die Bücher von Fitzek nicht alle auf meinem ebook reader habe. Aber die Geschmäcker sind zum Glück ja verschieden.
76. Landgänge 20.07.2017
Aus der Erfahrung unserer Schiffsreise im Oktober letzten Jahres, haben wir vorsichtshalber keine Ausflüge gebucht – aus dem einfachen Grund: ich wäre in keinen Bus gekommen. Also dachten wir, wir suchen uns vor Ort einfach ein Taxi und machen das privat. Zum Glück lagen die Häfen bis auf 2 mal direkt an der Innenstadt. Taxis waren nämlich Fehlanzeige. Aber wir kamen in Bergen vom Schiff direkt in die Innenstadt, wo wir einen Markt gesehen haben – hätten wir nicht all inclusive auf dem Schiff gehabt – meiohmei! Ich habe noch nie eine solche Vielzahl von Hummer, Lobster, Kingprawns, Lachs und Fische aller Art gesehen und alles hätte man dort auch essen können.
Nächster Stop war Geiranger – allein die Fahrt durch den Fjord ist der Hammer schlechthin. An unserem 2. Seetag passierten wir den Polarkreis bei strahlendem Sonnenschein und völlig überfülltem Pooldeck voller Sonnenanbeter.
In Tromso lagen wir erstmals im Hafengebiet und es ging ein Shuttlebus in die Innenstadt. In dem Glauben, dass ich da sowieso nicht reinkomme und da das Wetter prima war, meinte Matthias er könne mich die 4 km schieben. Nach 3 km hat es ihm gereicht – und wir drehten wieder um. Gesehen haben wir Hafen- und Industriegebiet sowie ein ziemlich schäbiges und herunter gekommenes Wohnviertel. Am Ende mussten wir dann noch sehen, dass die Busse einen Einstieg für Rollstühle gehabt hätten. Naja… wer zu doof ist zu fragen….
Das Nordkap verbrachten wir an Board. Das Schiff musste Tendern und das hieß für mich – keine Chance von Board zu kommen. Der Einstieg in die Tenderboote setzt voraus 15 Stufen zu Fuß gehen zu können…. und Tschüss Nordkap. Wir haben uns stattdessen noch eine Massage gegönnt.
Dann hatten wir wieder einen Seetag, diesmal bei 2 Grad und Schneeregen. Alle Innenbereiche auf dem Schiff waren proppenvoll und wir waren froh über unsere Verandakabine, wo wir gemütlich auf dem Bett lagen, rausguckten und Matthias holte uns die Drinks von der Bar.
In Trondheim lagen wir wieder direkt an der Innenstadt hatten diesmal aber das Problem einer langen und sehr steilen Treppe abwärts. Flugs wurden die Herren vom housekeeping gerufen um mich da runter zu tragen. Mein lieber Scholli, da braucht man Gottvertrauen, das war ein echter Kraftakt. Einer vorne und einer hinten und ein dritter noch weiter vorne, um den vorne abzustützen.
Während wir so rumstanden um auf die Jungs zu warten, gesellte sich eine ältere Dame zu uns, die gerade vom Landgang zurückkam. Sie erzählte uns, sie hätte sich in Trondheim verlaufen. Und egal wen sie auf Deutsch ansprach um nach dem Weg zu fragen – alle hätten sie gefragt, ob sie Englisch könne. Sie kofferte sich richtig auf – Englisch!!! Ja können die alle kein Deutsch? Und überhaupt – es wäre ihr als Deutschen doch nicht zuzumuten, Englisch zu lernen. Äh… vielleicht hatte die Gute nicht mitbekommen, dass wir uns in Norwegen befanden, mir fiel jedenfalls die Kinnlade runter und ich konnte kaum glauben, was ich gerade gehört habe. Matthias meinte dann zu ihr: „Wenn Sie sich unterhalten wollen wäre es aber gut Englisch zu können“ Antwort: „Dann will ich mich nicht unterhalten“ sprachs und rauschte davon. Das war auch gut so ich hatte nämlich auch keinen Bock mehr, mir dieses schwachsinnige Geschwafel noch länger anzuhören.
Ja und nachdem wir dann in Alesund unsere letzte und wie wir fanden von den Ortschaften schönste Station hatten kam noch ein Seetag und wir waren wieder in Hamburg.
Ich war glücklich, dass wir das gemacht haben. Allerdings bemerkte ich, wie meine Krankheit auf die Dauer der Reise wieder mal einen Satz nach vorne machte. Das hat mich dann schon deprimiert zumal wir Anfang September noch nach Island wollen und es immer schwieriger wird. In den schmalen Betten kann ich mich nicht alleine umdrehen, entweder liege ich auf Matthias oder neben dem Bett. Aufrichten im Bett ist nur noch unter allergrößter Anstrengung möglich und ich kann nicht mehr lange irgendwo sitzen wo ich den Kopf nicht anlehnen kann.
Einmal saß ich auf dem Bett und schaute auf das Meer und überlegte, welche Temperatur das Wasser wohl hat und wie lange es dauern würde, wenn ich springen würde. Aber gleichzeitig fiel mir ein, dass ich ohne Hilfe nicht mal auf die verdammte Veranda komme – geschweige denn übers Geländer. Also hab ich die Idee mangels Komplizen gleich wieder verworfen.
Als wir an den Lofoten vorbeifuhren, stoppte das Schiff, weil mit dem Hubschrauber ein medizinischer Notfall abgeholt wurde und irgendwie war ich dann doch froh, dass es mich noch nicht erwischt hat. Man hängt ja doch am Leben aber der Vorgeschmack dessen was mich noch erwartet wird täglich bitterer.
75. Ab ans Nordkap 19.07.2017
Es war schon eine Unverschämtheit, den G20 Gipfel auf den Tag nach unserem Auslaufen in Hamburg zu legen. Da wir nicht wussten, was uns erwartet und wir unserem Kreuzfahrtschiff nicht traurig hinterher winken wollten, sind wir vorsichtshalber einen Tag früher losgefahren und haben in der Lüneburger Heide übernachtet. Es ist ja immer so ein Ding mit behindertengerechten Zimmern. Meist bezieht sich das „barrierefrei“ leider nur auf die Badezimmer. Ich kriege schon immer einen Fön, wenn ich mir die Betten ansehe, die eine mittlere Wadenhöhe haben. Da plumpse ich zwar rein aber es ist für Matthias ein Gewaltakt, mich da wieder hoch zu kriegen und ich habe ein völlig schlechtes Gewissen, wenn ich nachts ständig raus muss. Dafür, daß das Hotel so teuer war wie eines in Berlin Mitte, dafür aber die Zimmer dunkel und überhaupt nicht zeitgemäß…. Also ich war jetzt nicht begeistert. Aber egal, wir sind am nächsten Tag völlig entspannt bei schönstem Wetter und völlig komplikationslos im Hamburger Hafen eingetrudelt.
Wobei – völlig entspannt ist komplett gelogen. Mir war vor Aufregung speiübel. Die ganze Zeit habe ich überlegt, wie wir 11 Tage überstehen sollen, wenn das mit dem Bad – also speziell mit dem WC nicht klappt.
Wir mussten beim Check-in wie im Flugzeug unser Gepäck aufgeben, welches direkt vor die Kabinen gestellt wird und beim Anblick des Toilettenstuhls haben die Jungs erstmal blöd geguckt. Ja und am Ende war alles da – außer dem Stuhl, der auch irgendwie nicht beikommen wollte. Irgendwann fing Matthias jemanden vom housekeeping ab und dem fiel zum Glück ein, dass da ein herrenloser Stuhl rumstand dem der Anhänger abhandengekommen ist.
So… und jetzt wurde es spannend. Matthias hob den Stuhl ins Bad und rief erfreut: “Passt!„ Eine Sekunde später hörte ich „Scheisse, die Dusche ist im Weg“. Der Stuhl ließ sich leider nicht drehen was aber leider notwendig war um nach links aufs WC zu kommen. Ich fühlte mein Frühstück hoch kriechen…..
Aber Bohns wären nicht Bohns wenns nicht zu jedem Problem eine Lösung gibt. Und die sah dann so aus. Matthias setzte mich vom Flur ins Badezimmer auf den Stuhl (ging anders nicht, ins Bad geht eine 21 cm hohe Stufe – völlig unmöglich für mich da hoch zu kommen). Dann schob er mich so weit zurück, dass ich mein linkes Bein in die Dusche strecken konnte. Dann rutschte ich auf dem Stuhl nach vorne und Matthias kippte die ganze Konstruktion samt mir nach vorne und bekam so den Stuhl gedreht. Ja… und dann schob er mich übers Klo. Der Rest war leicht. Die Größe des Badezimmers ermöglichte ein bequemes Erreichen aller Gegenstände auf dem Klo sitzend. Ich musste zwar seitlich ans Waschbecken – aber das ging.
Duschen war die nächste Herausforderung. Zur Not wären wir in den Spa Bereich dazu aber ganz ehrlich, ich wollte beim Waschen keine fremden Zuschauer und so versuchten wir es erstmal bei uns. Unser genialer roomservice hat uns ohne dass wir fragen mussten einen Duschhocker in die Dusche gestellt und so fuhr ich mit dem Stuhl soweit vor die Dusche, dass ich mit beiden Beinen in der Dusche stand. Matthias stand schon drin, hob mich hoch, drehte mich eine viertel Drehung und setzte mich auf dem Hocker wieder ab. Somit ging Duschen schon mal super. Zurück gings wieder auf den Toilettenstuhl, dann trocknete Matthias den Duschstuhl ab, setzte mich im Flur darauf, holte den Toilettenstuhl aus dem Bad und pflanzte mich ein weiteres Mal um. Und natürlich stand immer der zusammengeklappte Rollstuhl im Weg rum – alles etwas umständlich aber je öfter wir das machten desto routinierter wurden wir.
Ja …. und so richteten wir uns ein. Der erste Tag war ein Seetag und wir hatten erst mal eine Massage gebucht. Die hatte ich auch dringend nötig. Allerdings als ich meine kleine zierliche Thailänderin sah fing ich schon wieder an, mir Sorgen zu machen. Kann ich überhaupt auf dem Bauch liegen und wie um Himmels Willen soll ich mich auf den Rücken drehen? Aber - es klappte! Es klappte sogar gut und als ich auch das überstanden hatte, hatte ich zum ersten Mal wieder Appetit und begann, die Reise zu genießen!
74. Geburtstag 03.07.2017
Der beste aller Ehemänner wurde 60. Also mit 20 oder 30 klingt 60 ja alt. Aber wenn man es wird – oder mit jemandem verheiratet ist, der es wird, ist es überhaupt nicht alt. Und ganz ehrlich, ich wäre froh, wenn ich es überhaupt werden würde. Allerdings nicht um jeden Preis. Ich muss schon noch Lebensqualität haben und niemandem auf den Geist gehen, dann wäre es OK. Da ich seit diesem Monat aber in das 3. Jahr von ALS marschiere und mein Verlauf nicht wirklich als langsam bezeichnet werden kann, hab ich da so meine Zweifel.
Aber egal, ALS ist kein Hindernis ein besonderes Ereignis nicht auch gebührend zu feiern. Und so hatten wir die Bude vergangenes Wochenende voll. 6 Paare übernachteten bei uns und mit unseren aller engsten Freunden und der Familie feierten wir im Gasthaus Post. Wir haben schon um 17.00 Uhr angefangen, da ich abends ziemlich abbaue. In meinem Fernsehsessel zuhause halte ich es zwar immer relativ lange aus, aber im Rollstuhl sitzend … das geht nur eine begrenzte Zeit.
Erwartungsgemäß hat unsere jüngere Tochter mal wieder nicht gratuliert. Nicht, dass wir es wirklich erwartet hätten, ich kann mich ehrlich gesagt überhaupt nicht erinnern wann sie das überhaupt mal gemacht hat aber ich hatte so eine kleine, stille Hoffnung, dass sie ihren Vater einmal richtig überrascht – naja, Schwamm drüber.
Meine Schwester und mein Schwager reisten schon einen Tag früher an – stundenlang im Stau stehend. Ich liebe sie einfach dafür, dass die beiden so oft es geht kommen und ich freue mich darüber, dass wir uns so toll verstehen und sie auch so gerne kommen.
Die beiden betreiben in Neumünster eine Kneipe in welcher es das weltbeste Frühstück zu wahren Dumpingpreisen gibt und genau das bekam Matthias am Samstagmorgen mit einer kleinen Schwarzwälder Kirschtorte zum Geburtstag. Und es gibt ja nix schöneres als morgens in aller Ruhe beim Frühstück zu sitzen und zu babbeln. Elke ist immer sehr bemüht mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen und bemuttert mich von vorn bis hinten – was mir manchmal ein unmutiges Grunzen entlockt, wenn ich Dinge nämlich noch selber kann und es auch gerne noch selber tun möchte. Allzu viel ist es ja eh nicht mehr. Und so kamen wir wieder auf das Thema Anziehen und Hilfestellung und ich erzählte so, dass ich meinen BH nur noch mit Mühe, bzw. oft gar nicht mehr an- und aus bekomme. Darauf Elke: „Na, das wird Matthias doch gefallen. Also, meinem Mann würde das gefallen!“ Volker reagiert nicht und Matthias (hüstelt): „Das irritiert mich jetzt aber, dass das DEINEM Mann gefallen würde“ (Volker reagiert immer noch nicht) – ich fange an zu lachen (Volker ist intensiv mit seinem Brötchen beschäftigt und reagiert nicht) Elke (laut): „Ja, DAS finde ich jetzt allerdings auch komisch!“. Beim strengen Ton seiner Frau schaut Volker endlich hoch, guckt völlig irritiert in die Runde und fragt: „Was ist los?“. Mittlerweile liege ich vor Lachen schon halb unterm Tisch.
Im Laufe des Tages trudelten dann noch Rudi und Tina und Iris und Frank ein und um 17.00 Uhr machten wir uns auf den Weg. Nun ist meine größte Sorge, wenn wir unterwegs sind ja immer: wie komme ich aufs Klo? Toiletten haben einen wirklich großen Stellenwert in meinem Leben bekommen und an manchen Tagen trinke ich kaum, wenn wir viel unterwegs sind, damit wir da keinen Stress bekommen.
Als wir die Toiletten im Gasthaus überprüft haben und sie als Rollstuhltauglich identifiziert haben konnte ich auch in aller Ruhe Essen und Getränke genießen. Und natürlich mussten wir nach einer geraumen Zeit diese auch aufsuchen. Elke kam zur Unterstützung vorsichtshalber mit und so war die Örtlichkeit mit mir, Rollstuhl, Matthias und Elke auch voll.
Da wir in wenigen Tagen unsere Schiffsreise ans Nordkap antreten habe ich eine der extra weiten Hosen angezogen, da die neuen anderen mit sollen und ich sie nicht schmutzig machen wollte.
Und beim Aufstehen in der Toilettenkabine passierte genau das wie beschrieben: die Hose landete in freiem Fall auf meinen Schuhen. Nun ist so eine Kneipentoilette relativ eng und ich war schon ziemlich erschöpft, d. h. Matthias muss ich mich fester halten als sonst, da ich sonst drohe zusammen zu sinken. Heißt: wir kamen nicht an die Scheiß Hose und Matthias wollte mich auch nicht mehr absetzen weil das wieder ein normal hohes „Töpfchen“ war und es ist wirklich ein Kraftakt mich dann da hoch zu bekommen, wenn ich wie ein nasser Sack am Hals hänge.
Nun – wir sind ja ein Familien-Dream-Team. Also Elke stand hinter Matthias, ging in die Hocke, griff zwischen Matthias‘ Beinen meine Hose und hob sie hoch. Matthias staunte nicht schlecht als die Hose so zwischen seinen Haxen nach oben schwebte.
Und was hab ich wieder gelernt? Es gibt für jedes Problem eine Lösung – manchmal unkonventionell – aber dafür dann saulustig!
So, und jetzt sind wir erstmal eine Weile weg….. da wird hier im Blog nicht viel passieren!